Forum E Nr.4/2001, S. 17-21

 

„Ohne uns geht nichts!„

Deutscher Lehrertag 2001 in Bonn fordert ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer

 

von Ben Grewing

 

Nach Jahren der Lehrer-Arbeitslosigkeit gewinnt vor allem in den alten Bundesländern das Phänomen des Lehrermangels immer deutlichere Konturen. Schon jetzt ist absehbar, dass der Lehrermangel vor dem Hintergrund einer in der deutschen Geschichte beispiellosen Pensionierungswelle und angesichts zur Zeit noch weiter steigender Schülerzahlen zu so etwas wie einer neuen Bildungskatastrophe führen könnte. Immer drängender stellt sich die Frage, woher die benötigten Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft kommen sollen. Die Zahl der Studenten, die ein Lehramt anstreben, reicht nicht aus, den Bedarf zu decken. Die Kultusminister wollen deshalb die Schulpforten zunehmend auch für Quereinsteiger öffnen.

 

Am 8. Mai 2001 führte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) im Wissenschaftszentrum in Bonn seinen diesjährigen Lehrertag unter dem Titel „Ohne uns geht nichts! - Kinder und Jugendliche brauchen ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer„ durch. Erneut wurde deutlich, wie wichtig und dringend es ist, jetzt geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung des Lehrermangels zu ergreifen. Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiter aus Grundschulen, aus Schulen der Sekundarstufen I und II sowie Erziehungswissenschaftler und Bildungspolitiker beschäftigten sich deshalb eingehend mit der Frage, mit welchen bildungspolitischen Maßnahmen eine Versorgung der Schulen mit ausgebildeten Pädagogen gewährleistet werden kann.

 

„Der Lehrermangel hat vor allem in den westlichen Bundesländern zu bildungspolitischen Überlegungen und Maßnahmen geführt, die die Qualität von Unterricht und Erziehung zu untergraben drohen“, stellte der VBE-Bundesvorsitzende in seinem Einführungsvortrag fest. Er machte klar, dass es nicht dazu kommen dürfe, die Schulen für nichtschulische Fachleute zu öffnen, nur um den letztlich durch die Politik zu verantwortenden Lehrermangel notdürftig zu kaschieren. Den Kultusministern warf er vor, nur an den Symptomen des Lehrermangels herum zu doktern, anstatt die Ursachen anzugehen. Die jetzt von der KMK ergriffenen Maßnahmen reichten bei weitem nicht aus. „Wir brauchen für den Lehrerberuf ein attraktives Berufsbild und konkurrenzfähige materielle Bedingungen“, sagte Eckinger.

 

Der VBE-Bundesvorsitzende wies darauf hin, dass sich der jetzt ins Haus stehende Lehrermangel bereits Mitte der 90er Jahre abgezeichnet habe. „Statt rechtzeitig dem Mangel vorzubauen und junge Lehrkräfte anzuwerben, setzten die Länder zum Beispiel mit einer skandalös geringen Bezahlung für Referendare und junge Lehrer, mit Tricks bei Einstellungsterminen, mit befristeten Teilzeitverträgen und Zwangsteilzeit alles daran, potenzielle Bewerber abzuschrecken“, kritisierte Eckinger die Bildungspolitik der Länder. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre sank die Übertrittsquote von Absolventen der Lehrerausbildung in das Referendariat von 95 Prozent auf 73 Prozent. Der VBE hat in einem Zehn-Punkte-Katalog an die Kultusminister unter anderem die Erarbeitung eines langfristigen Konzepts der Personalentwicklung gefordert.

 

Es sei nicht hinnehmbar, dass ein Referendar nach sechsjährigem Studium und erstem Staatsexamen weniger verdiene als ein Auszubildender im zweiten oder dritten Lehrjahr. Der VBE-Bundesvorsitzende forderte auch eine deutliche Aufwertung des grundständigen Lehramtsstudiums an den Universitäten. Gleichzeitig plädierte er für Lehrerbildungsfakultäten, in denen die Lehramtsstudierenden an den Universitäten eine „Heimat“ hätten. Die Attraktivität des Lehrerberufs sei nicht allein durch Imagekampagnen zu erhöhen, sondern insbesondere durch ein hohes Niveau der Lehrerbildung in allen drei Phasen.

Mit Blick auf die gemeinsame Vereinbarung von KMK und Lehrerorganisationen stellte er fest: „In der Bremer Erklärung vom Oktober vorigen Jahres wurde die Unverzichtbarkeit pädagogisch-psychologischer und didaktisch-methodischer Qualifikation von Lehrerinnen und Lehrern festgeschrieben.” Hinter diese eindeutige Beschreibung von Grundlagen und Zielen für den Lehrerberuf dürfe man jetzt nicht zurückfallen.

Auch der Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers von der Universität Zürich warnte davor, eine grundständige Lehrerausbildung einfach preiszugeben. „Soll die Einheit der wissenschaftlichen Lehrerbildung für alle Lehrämter gewahrt bleiben“, sagte Oelkers, „so bleibt nur die Option, Studium und Berufsvorbereitung auf neue Weise zu integrieren.“ Dazu müsse überhaupt erst mal ein expliziter Auftrag der Lehrerbildung formuliert werden, um diese dann als integrale Einheit zu bestimmen. Oelkers verwies dabei auf die Vorschläge der Hamburger Kommission für die Reform der Lehrerbildung, die er geleitet hatte.

Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm prognostizierte für Deutschland insgesamt einen jährlichen Einstellungsbedarf an Lehrern von mindestens 22 000 bis zum Jahr 2005, danach sogar von rund 29 000. Im jetzigen Schuljahr wurden in den alten Ländern 27 000 und in den neuen Ländern 2300 Lehrkräfte neu eingestellt, allerdings vorwiegend in den Mangelfächern Mathematik, Physik, Chemie, Informatik und in den gewerblich-technischen Fächern an den Berufsschulen. Diese Einstellungspolitik hat laut Klemm zur Folge, dass nach wie vor die Lehrerarbeitslosigkeit andauert.

 

Die Diskussionsrunde stand ganz bewußt unter dem Thema „Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern heute - Die Bremer Erklärung auf dem Prüfstand der Einstellungspraxis„. Vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrermangels war die zentrale Frage, ob die Bremer Erklärung des vergangenen Herbstes, in der es vor allem um die inhaltliche Ausgestaltung des Lehrerberufs gegangen war, auch weiterhin gültig ist oder zur Disposition steht. Der Kultusminister des Saarlandes, Jürgen Schreier, der die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Annette Schavan, vertrat, hielt in seinem Statement an der Bremer Erklärung fest. Außerdem verteidigte er die kürzlich von der KMK verabschiedeten Maßnahmen zur Deckung des Lehrerbedarfs.

 

Dabei mahnte er eine neue gesellschaftliche Einstellung zur Bildung an. Gegenwärtig sei das Bild des Lehrerberufs nicht gut. Gleichzeitig seien die Kinder schwieriger geworden. Lehrerinnen und Lehrer bräuchten jetzt eine neue gesellschaftliche Wertschätzung. In der Vergangenheit hätten Politiker und Wirtschaft die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer schlechtgeredet. An die Adresse der Eltern gerichtet stellte er fest, dass die vorschulische Erziehung besser werden müsse. Die Schulen könnten die Erziehungsprobleme nicht allein ausbügeln. Den Lehrerinnen und Lehrern warf er gleichwohl vor, ihren Beruf auch selbst schlechtgemacht zu haben. Jetzt sei ein Umdenkungsprozess gefordert. Die Wissensgesellschaft erfordere nicht nur das lebenslange Lernen, sondern auch Fachleute, die diese lebenslangen Lernprozesse in Gang setzen könnten. Schreier sprach im Verlauf der Diskussion auch die Altersstruktur in den Kollegien an. In diesem Zusammenhang schlug er überraschenderweise vor, künftig eine altersmäßige Ausgewogenheit bei der Zusammensetzung der Kollegien per Gesetz festzuschreiben.

 

Malte Buschbeck, Chefredakteur der Frankenpost und scharfsinniger Kritiker bildungspolitischer Entscheidungen, war naturgemäß in vielem völlig anderer Auffassung als Schreier. Mit seinem Statement und seinen Redebeiträgen sorgte er immer wieder für eine kontroverse Auffrischung der Diskussion. Bereits in seinen ersten Sätzen versprach Malte Buschbeck eine Abrechnung mit seiner Ansicht nach lieb gewordenen bildungspolitischen Vorstellungen. In einem ausgesprochen launigen Statement bezeichnete er die Bremer Erklärung als eine Ansammlung von Allgemeinplätzen. Seine Kritik an der Erklärung fiel insgesamt scharf aus. Hier seien nicht nur Selbstverständlichkeiten zu finden, die Erklärung sei durchgängig von einer hoheitlichen Sprache geprägt. Für die Zukunft verbat sich Buschbeck weitere Bekenntnispapiere dieser Art. Auch die Verlautbarungen der KMK zum nun aufgetretenen Lehrermangel unterzog Buschbeck einer harten Kritik. Sie seien letztlich untauglich. Er stellte fest, dass die KMK Statistiken in der Vergangenheit mutwillig missachtet habe. Schließlich habe man die gegenwärtige Entwicklung klar vorhersehen können. Er fragte sich, warum der Bildungsgesamtplan abgeschafft worden sei und warum es jetzt nicht endlich ein Bündnis für Bildung gebe. Was man jetzt in der Schule brauche, sei Qualitätsmanagement und Evaluation. Stattdessen werde die Verantwortung hin und her geschoben.

 

Beklagenswert sei es, dass es inzwischen immer mehr Vorwürfe an die Lehrerinnen und Lehrer gebe. Früher sei der Lehrerberuf ein schöner Beruf gewesen. Die Lehrerverbände seien deshalb mehr denn je aufgerufen, die Inhalte von Unterricht und Erziehung sowie von Lehrerbildung zu beschreiben. Heute habe man oft den Eindruck, dass sich ein Traumberuf zur Strafbank entwickelt habe. Allerdings nahm Buschbeck die Lehrerinnen und Lehrer von seiner Kritik nicht aus. Auch sie selbst müssten am Bild des Lehrerberufes arbeiten. Es könne nicht damit getan sein, über die Besoldung zu jammern. Lehrerinnen und Lehrer müssten sich vielmehr selbst an die Spitze des Entwicklungsfortschritts in der Schule setzen. Als konkrete Beispiele entwarf er Netzwerkprojekte, die er unter Titel wie „Ein Herz für Kinder„ oder „Schule braucht Freunde„ stellte.

 

Die sich anschließende Diskussion unter der Moderation von Karl-Heinz Heinemann, dem bekannten Rundfunkjournalisten aus Köln, beschäftigte sich noch einmal mit der Kritik Buschbeck’s an der Bremer Erklärung. Schreier gab zwar zu, dass die Sprache alle Kennzeichen eines Konsenspapieres zeige. Er gab aber zu Bedenken, dass die Abstimmung der Inhalte ausgesprochen schwierig gewesen sei. Gleichwohl sei die Verabschiedung einer derartigen Erklärung an sich schon ein bedeutsamer Vorgang. Buschbeck hakte hier ein und merkte an, dass die Abstimmung nicht nur zwischen der KMK und den Lehrerinnen und Lehrer hätte erfolgen dürfen. Auch die Öffentlichkeit hätte einbezogen werden müssen. Schreier wies noch einmal daraufhin, dass es jetzt darauf ankomme die Erklärung umzusetzen. In Deutschland sei man Weltmeister im analysieren. Jetzt komme es darauf an zu handeln.

 

Schreier und Buschbeck begaben sich immer wieder auf das Feld einer allgemein bildungspolitischen Auseinandersetzung. Heinemann verwies deshalb des öfteren auf das eigentliche Thema der Podiumsdiskussion, die Bremer Erklärung. Mehrmals fragte er sowohl Schreier als auch Buschbeck, ob denn nicht die Möglichkeit bestünde, die Erklärung jetzt konkret klein zu arbeiten. Schreier hob hervor, dass die Erklärung Verpflichtung für die Kultusminister und Lehrerinnen und Lehrer zugleich sei. Einen Pflichtkanon für die Lehrerinnen und Lehrer habe es aber schon vor der Erklärung gegeben. Zudem gebe es eine Fülle von Fragen, die ebenso wichtig seien, wie z.B. die nach der elterlichen Erziehung oder dem Schicksal schwieriger Schüler. Die weitere Diskussion konzentrierte sich dann auf das Problem dieser ‘drop outs’, für die es immer weniger Angebote in der Arbeitswelt gibt. In diesem Zusammenhang stellte Buschbeck fest, dass die Schulen sehr viel besser in der Lage wären, Jugendliche mit Schwierigkeiten auf das Arbeitsleben vorzubereiten, wenn sie besser ausgestattet wären. Gegen die nach seiner Auffassung allzu weitreichende Kritik Buschbeck’s verwahrte sich Schreier allerdings mit dem Hinweis, dass man das deutsche Bildungssystem nicht schlecht reden dürfe.

 

Am Ende des Lehrertages kristallisierte sich als wichtigste Frage in der jetzigen Situation die nach der Motivation heraus, mit der junge Menschen den Lehrerberuf anstreben könnten. Der Bundesvorsitzende des VBE wies in seinem Schlußwort darauf hin, dass der VBE noch vor seiner Vertreterversammlung Mitte November 2001 in Magdeburg klare Argumente für ein Ergreifen des Lehrerberufes formulieren und in die Öffentlichkeit bringen wolle.

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