Forum E Nr.2/2000, S. 25,26

 

Bildung lohnt sich - Nur als Wahlkampfschlager?

 

Von Ben Grewing

 

Wer sich die Landtagswahlkämpfe des vergangenen Jahres in Hessen und im Saarland genauer angesehen hat und wer die derzeit laufenden Wahlkämpfe in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen genauer beobachtet, wird feststellen, dass Bildung besonders bei den großen Parteien breiten Raum einnimmt. Bildung scheint in den Rang wahlentscheidender Themen aufgerückt zu sein. Die Frage ist nur, ob bildungspolitische Themen am Ende nur der Joker sind, den die Parteien aus dem Hut zaubern, wenn es darum geht, an die Macht zu kommen.

 

Insgesamt kann man den Eindruck gewinnen, dass Bildung immer dann nicht mehr vordringlich zu sein scheint, wenn sie nach gewonnener Wahl anfängt, finanzielle Mittel zu erfordern. Dennoch haben auch die großen Parteien auf Bundesebene das Thema jetzt auf ihre Fahnen geheftet. In den vergangenen Wochen haben in kurzer Folge zunächst die CDU und dann auch die SPD sich zum Thema Bildung geäußert. Die CDU hat im Rahmen des schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampfs ihre ‘Kieler Thesen’ aufgestellt, der CDU-Bundesvorstand hat die ‘Norderstedter Erklärung’ verabschiedet und gleichzeitig wird an einem Leitantrag der CDU zum Thema Bildung für den Bundesparteitag der CDU im April in Essen gearbeitet. Die SPD hat am 17. Januar in Berlin der Öffentlichkeit ein Memorandum für eine neue Bildungsinitiative vorgestellt und am 25. Januar in Bonn einen großen Bildungskongress veranstaltet. Die Vielzahl der Bildungsinitiativen von CDU und SPD wären zu begrüßen, wenn sie zu einer Modernisierung des deutschen Bildungssystems beitrügen. Ob sie dazu in der Lage sind, müssen die konkreten Details dieser Initiativen zeigen.

 

Was will die CDU?

 

Anlässlich des bildungspolitischen Zukunftsforums in Kiel stellte die CDU ihre so genannten „Kieler Thesen“ vor. Darin setzt sich die Partei unter anderem für eine stärkere Spezifizierung der Schulen ein, für zentrale Schulabschlüsse sowie für Leistungsvergleiche. Die CDU öffnet sich erstmals für Studiengebühren und Bildungskredite. In einem Entwurf wird die zukünftige Finanzierung des Studiums durch eine „sinnvolle Kombination“ von Studiengebühren, BAfög, Bildungssparen und Bildungsdarlehen, angestrebt. Zur Wahrung der „Sozialverträglichkeit“ sollen Begabte und Bedürftige „Freiplätze“ im Studium erhalten. Die Rückzahlung von Ausbildungskosten und Bildungsdarlehen soll nach Abschluss des Studiums abhängig vom späteren Einkommen der Akademiker erfolgen. In der Schulpolitik verlangt die Union mehr Leistung und Wettbewerb. Den Beamtenstatus für Hochschullehrer müsse man hinterfragen und die Entlohnung leistungsorientiert gestalten. Für den Hochschulzugang verlangt die CDU, dass sich die Bewerber ihre Hochschule selber und die Hochschulen sich ihre Studenten aussuchen können.

 

Das Abitur soll „flächendeckend“ nach zwölfjähriger Schulzeit angeboten werden. Erforderlich seien „regelmäßige Vergleichstests“ zwischen den Ländern der Bundesrepublik sowie „Vergleichsuntersuchungen zwischen einzelnen Schulen, Schularten und Schulsystemen“. Ziel seien „transparente und vergleichbare Abschlüsse“. Dazu solle es „zentrale Prüfungen an allen weiterführenden Schulen“ geben. Die CDU setzt sich weiter für einen Grundkanon von Fächern ein: Deutsch, Mathematik, Fremdsprache, Naturwissenschaften und Geschichte „müssen aufgewertet werden“. Eine besondere Bedeutung haben dabei Fremdsprachen: Eine Fremdsprache soll ab der ersten Klasse erlernt werden, im Gymnasium sollen „zwei Fremdsprachen bis zum Abitur“ unterrichtet werden. Klar bekennt sich die Union zum christlichen Religionsunterricht. Religionsunterricht sei jedoch „kein Privileg der Christen“. Auch jüdischer und islamischer Religionsunterricht solle dort eingerichtet werden, wo Eltern und Religionsgemeinschaften dies wollten. Das Fach Ethik sei eine Alternative zum Religionsunterricht.

 

Die CDU will auf allen Schulzeugnissen wieder Kopfnoten für Betragen, Fleiß und Ordnung einführen. Außerdem soll den Gymnasien die Möglichkeit gegeben werden, das Abitur bereits nach acht statt bisher nach neun Jahren anzubieten. Das Erziehungsrecht der Eltern soll Vorrang bekommen. Gleichzeitig sollen die Eltern dadurch auch in die Pflicht genommen werden. Die CDU bekennt sich in ihrem Antrag eindeutig zum öffentlichen Schulsystem. Der Erziehungsauftrag müsse aber über die Wissensvermittlung hinausgehen. Bildung ohne Erziehung und Erziehung ohne Werte gebe es nicht. Die Arbeit der Gesamtschulen wird von der CDU kritisch betrachtet. Das Leistungsniveau in den deutschen Schulen will die Partei durch zentrale Prüfungen und regelmäßige Vergleichstests anheben.

 

In dem am 7. und 8. Januar in Norderstedt vom CDU-Bundesvorstand verabschiedeten zehnseitigen Papier geht es um die Steuer-, Bildungs- und Europapolitik. Der Bildungspolitik werden immerhin zwei Seiten gewidmet. In dem Papier spricht sich die Partei „für eine Weiterentwicklung der Lehrerbildung“ aus, die den konkreten Anforderungen heutiger Schulwirklichkeit gerecht wird. Dazu gehört ein höherer Stellenwert der Lehrerbildung an den Hochschulen, die Etablierung von mehr Schulwirksamkeitsforschung und von Systemen schulischer Evaluation sowie eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis in der Lehrerbildung. Des Weiteren wird die Gründung einer unabhängigen „Stiftung Bildungstest“ für Transparenz, Qualität und Verbraucherschutz der Weiterbildung gefordert.

 

Was will die SPD?

 

Dass Bildung ein wichtiges gesellschaftliches Thema ist und öffentlich mehr diskutiert werden sollte, zeigte auch die Tatsache, dass sich mehr als 1.000 Personen für einen Bildungs-Kongress der SPD angemeldet hatten, der am 25. Januar in Bonn stattfand. Wer etwas über die neue Bildungspolitik dieser Partei erfahren wollte, sollte hier Informationen bekommen.

 

Wolfgang Clement erinnerte in seiner Ansprache an die Reformen der 70er Jahre, in denen es um Chancengleichheit, Durchlässigkeit des Bildungsangebotes und Verbreiterung der Bildungschancen gegangen sei. Heute stehe die Befähigung zum selbständigen Denken im Vordergrund. Dieses selbständige Denken werde ebenso wie eine gute Bildung für den Wechsel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft gebraucht. Bei diesem Wechsel dürfe es keine Gewinner und keine Verlierer geben. Chancengleichheit sei und bleibe die Richtschnur sozialdemokratischen Handelns.

 

Er lobte zwar die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, betonte aber, dass man in Zukunft auch Externe in den Schulen bräuchte. In diesem Zusammenhang verwies er auf Handwerksmeister. Wichtig sei, dass die Schulen mehr Selbstverantwortung bekämen. Das System staatlicher Aufsicht sei noch zu dicht. Es gebe zu viel Regelwerk. Klar sei, dass die Gesamtverantwortung für Bildung weiter beim Staat liege. Eine BAföG-Reform bezeichnete er als dringend notwendig.

 

Gerhard Schröder vertrat im Anschluß die Ansicht, daß Chancengleichheit allein aus wirtschaftlichen Gründen wichtig sei. In der hochtechnisierten Welt von morgen werde jede Begabung gebraucht. In diesem Zusammenhang sprach er die dramatischen Veränderungen an, mit denen der derzeitige Wechsel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft vonstatten gehe: Nach dieser etwas allgemein gehaltenen Einleitung formulierte Schröder im Folgenden aus seiner Sicht Unterrichtsinhalte für die zukünftige Schule. Dabei zeigte sich besonders deutlich, dass Bildung für den Bundeskanzler neben Fremdsprachen besonders auch wirtschaftliche Kenntnisse vermitteln muß. Die Gesellschaft brauche kürzere Schulzeiten. Das Abitur könne nach 12 Jahren absolviert werden. Er kündigte eine BAföG-Reform an und verwies auf die Erhöhung der Mittel um 500 Mio. Mark.

 

Abschließend kündigte er an, dass die Bundesregierung das Modell eines Bildungskredites prüfen werde. Studiengebühren werde es mit ihm nicht geben. Letztlich sei die Tatsache, dass in Deutschland keine Studiengebühren entrichtet werden müssten, für ausländische Studenten ein zusätzlicher Anreiz. Er sei der Auffassung, dass Professoren in Zukunft keine Beamten mehr sein sollten.

 

In einer Podiumsdiskussion des Kongresses äußerte sich Wolfgang Clement zur staatlichen Bildungsfinanzierung. Der Staat habe die Aufgabe, die Schulen und auch die Lehrerinnen und Lehrer zu qualifizieren. Entsprechend bräuchten die Schulen sowohl Computer wie auch Fortbildungskurse. Diese Aufgabe sei so groß, dass der Staat allein sie nicht bewältigen könne. Projekte des Public-Private-Partnership müssten deshalb verstärkt werden.

 

Im Arbeitskreis „Chancengleichheit von Anfang an: Die Schule“ beschrieb Gabriele Behler noch einmal sozialdemokratische Bildungspolitik.

1. Chancengleichheit ist nicht mehr wie in der Vergangenheit das Instrument für den Aufstieg einer sozialen Schicht, sondern betrifft jeden Einzelnen. Die Mädchen sind die Gewinner dieses Prozesses.

2. Nach wie vor gibt es aber Defizite. Sie betreffen z.B. Migrantenkinder. Auch gibt es regionale Unterschiede.

3. Die neuen Medien werden in Zukunft immer größere Bedeutung in den Schulen gewinnen. Dabei ist wichtig, nicht eine Unterscheidung zwischen „information rich and information poor“ entstehen zu lassen.

4. Die Bildungsforschung muss gefördert werden. Nur so kann die Wirksamkeit von bildungspolitischen Maßnahmen zweifelsfrei überprüft werden.

5. Der Unterricht selbst muss sich in Zukunft aller Voraussicht nach ändern.

6. Die Helfersysteme müssen stärker als bislang aktiviert werden.

 

Was vom Kongreß blieb, war, dass kaum innovative Ansätze zur Sprache kamen. Im Wesentlichen wurden die bekannten Thesen wieder vorgetragen. Auffallend war nur, dass neben dem allenthalben beschworenen Wechsel von der Industrie- zur Informations- oder Wissensgesellschaft vor allem der Begriff der Chancengleichheit zur Sprache kam. Zwar wird der Begriff Chancengleichheit derzeit in der SPD so oft gebraucht wie sonst kaum einer, aber mit diesem Begriff meinen die Sozialdemokraten etwas anderes als noch zur Zeit des bildungspolitischen Aufbruchs der 70er Jahre. Aus der Chancengleichheit vergangener Jahre ist bei der SPD heute so etwas wie die gerechte Verteilung von Leistungsanforderungen geworden.

 

Egalitäre Bildungskonzepte stehen nicht mehr zur Debatte. Das zeigt nicht nur der SPD-Bildungskongress in Bonn, sondern auch das kurz zuvor in Berlin veröffentlichte Memorandum zur Bildungspolitik der SPD. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland sollen innerhalb kürzerer Zeit bessere Leistungen erbringen, und zwar objektiv überprüfbar.

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